Der Wähler, der Politiker und die Kurzsichtigkeit.
Mitunter wird Politikern vorgeworfen, sie sorgten sich lediglich um die nächste Wahl, machten kurzfristige Wahlgeschenke und ignorierten langfristige Herausforderungen wie die Stabilisierung des Rentensystems oder die Klimakrise. Dies führe dazu, dass wichtige Reformen und Zukunftsinvestitionen massiv verschleppt würden.
Die politisch notwendige Konzentration auf die nächste Wahl verleitet demokratisch gewählte Regierungen in der Tat dazu, Ressourcen für kurzfristige Ziele zu verwenden – schließlich müssen sie sich gegenüber ihrer aktuellen Wählerschaft beweisen und nicht gegenüber Bürgern, die erst in 20 Jahren das Wahlalter erreichen. Man muss erst einmal gewählt werden, bevor man politisch (weiter) gestalten kann. Investitionen in Zukunftsgerechtigkeit, die kurzfristig kosten aber langfristig wirken, sind daher auch bei gutem Willen, den viele Politiker haben, nicht so leicht durchzusetzen.
Bei uns ist die Klimakrise längst wirksam und wird sich in den nächsten Jahrzehnten immer stärker bemerkbar machen. Naturereignisse wie Dürre, Hitze, Starkniederschläge und Überflutungen werden auch in Deutschland zunehmen. Hier ist der Staat sowohl in der Katastrophenvorsorge als auch -nachsorge gefragt. Vor allem ersteres dürfte eine Herausforderung werden. Wer trägt hier für was Verantwortung?
Ein Blick auf den politischen Umgang mit zyklischen Naturkatastrophen in den USA kann Aufschluss bieten: In einer wissenschaftlichen Studie stellen Andrew Healy und Neil Malhotra [1] fest, dass die amerikanische Wählerschaft politische Kurzsichtigkeit im Umgang mit Naturkatastrophen belohnt. Investiert die Regierung hingegen in präventive Schutzmaßnahmen, kann sie sich dafür keine Unterstützung durch die Wähler bei der nächsten Wahl erhoffen.
Ein Hauptgrund für dieses Problem liegt darin, dass viele Wähler die Regierung nicht für die langfristigen Folgen ihres (Nicht-)Handelns zur Verantwortung zu ziehen, sondern für kurzfristige (Miss-)Erfolge und Versprechen. Dies ermutigt auf Wiederwahl bedachte Politiker, Hilfe erst dann zu leisten, nachdem der Schaden bereits eingetreten ist. Healy und Malhotra kommen daher zu dem Schluss, dass so genannte „Vorsorgeaufwendungen“ aus (wieder)wahltaktischer Sicht suboptimal sind, da sie sich nicht in Wählerstimmen auszahlen. Dies führt insgesamt zu einer Verringerung des gesellschaftlichen Wohlstands, die eigentlich unnötig ist und den betroffenen Bürgern und Steuerzahlern langfristig schadet.
Diese Ergebnisse schließen die Autoren aus ihren analysierten Daten zu Wahlergebnissen, Katastrophenschäden und Staatsausgaben in den 3.141 Bezirken der USA zwischen 1988 und 2004. Die Wähler honorieren die Ausgaben für Katastrophenhilfe in erheblichem Maße, machen die amtierende Präsidentschaftspartei also für die nach einer Katastrophe getroffenen Maßnahmen im positiven Sinne verantwortlich. Im Gegensatz dazu zeigen die Wähler im Durchschnitt überhaupt keine Reaktion auf Ausgaben für die Katastrophenvorsorge, obwohl Investitionen in die Katastrophenvorsorge einen großen gesellschaftlichen Nutzen bringen.
Die Autoren schätzen, dass ein durchschnittlicher Dollar, der für die Katastrophenvorsorge ausgegeben wird, künftige Katastrophenschäden um mehr als 7 Dollar innerhalb eines einzigen Wahlzykluses reduziert. Der Gesamtwert eines Dollars an Vorsorgeausgaben für alle künftigen Schadensreduzierungen beträgt sogar etwa 15 Dollar.
Auch wenn die Daten aus den USA stammen, so ist doch anzunehmen, dass sich die grundsätzlichen Mechanismen auch auf Deutschland übertragen lassen. Auch wir in Deutschland sehen gerade, dass dutzende Milliarden Euro für die Bewältigung der Flutkatastrophe bereitgestellt werden. Ob der Wiederaufbau aber auch nach den Kriterien der Katastrophenprävention geschieht und die regionalen Prognosen zu den Auswirkungen des Klimawandels als Grundlage nimmt oder ob es doch nur um einen schnellen Wiederaufbau geht, kann noch nicht abschließend bewertet werden.
Laut Detlef Sprinz (2014) wäre es für eine gelungene Prävention am effektivsten, wenn zukünftig Anreize vermieden würden, in Gebieten mit hohem Überflutungsrisiko neu zu bauen. Wenn Investoren also bewusst in ausgewiesenen Hochrisikogebieten bauen, müssten sie auch das volle Risiko tragen und könnten nicht auf staatliche Entschädigungen hoffen. Bezogen auf die diesjährige Flutkatastrophe würde das bedeuten, dass der Staat zunächst eine wissenschaftlich fundierte Risikoabschätzung vornimmt und Menschen, deren Grund und Boden nun in einem Hochrisikogebiet liegen, bei der Umsiedlung finanziell und organisatorisch unterstützt.
Zukunftsgerechte Politik ist, wenn Politik, Wirtschaft und Bürger jetzt investieren, um Deutschland klimafest zu machen. Wenn wir hingegen der Klimakrise immer nur hinterherräumen, kommt uns das allen teuer zu stehen. Das zu erkennen, einzufordern und umzusetzen ist nicht nur Aufgabe einer künftigen Regierung, sondern auch unser Job als Wähler.
Autoren: Tilman Ziel und Michael Rose
[1] Healy, A. and Malhotra, N. (2009) ‘Myopic Voters and Natural Disaster Policy’, American Political Science Review, 103(3), S. 387–406. doi: 10.1017/S0003055409990104
[2] Sprinz, D.F. (2014) ‘Long-Term Policy Problems: Definition, Origin, and Responses’, in Wayman, F.W. et al. (eds.) Predicting the future in science, economics and politics. Cheltenham: Edward Elgar Publishing.