Am 26. September ist Bundestagswahl. Und obwohl zukünftige und junge Menschen nicht mitwählen können, entscheiden wir über deren zukünftige Lebensverhältnisse maßgeblich mit. Es wird höchste Zeit, dass wir für die Zukunft Verantwortung übernehmen. Ob Klima, Rente, Umwelt oder Bildung – überall gibt es Defizite, die schnellstens kraftvoll angepackt werden müssen. Wie verhalten sich die Parteien zum Thema Zukunftsgerechtigkeit?
Erste Anhaltspunkte bieten etwa der Klimawahlcheck verschiedener Umweltorganisationen, der Wahlcheck für junge Menschen von ZEIT Campus oder der Wahlprogramm-Check für Menschen unter 30 von funk. Methodisch etwas besser aufgestellt als die oben genannten Alternativen ist der Wahl-O-Mat® – der zwar deutlich mehr Themen abdeckt als etwa der Klimawahlcheck, damit aber auch viele Aspekte beinhaltet, die für Zukunftsgerechtigkeit nur mittelbar relevant sind. Wir haben uns daher elf von 38 Wahl-O-Mat-Thesen rausgepickt, die wir für besonders wichtig halten und geschaut, was die Parteien dazu sagen. Herauskommt ein Übereinstimmungsranking der Parteien mit unseren favorisierten Antworten. Da wir als Datengrundlage nur Thesen haben, die im Wahl-O-Mat abgefragt werden, fallen hier natürlich einige Zukunftsgerechtigkeitsaspekte hinten runter. Eine ausdrückliche Zukunftsgerechtigkeits-Wahlempfehlung kann daher auch unser #BTW21 Zukunftsgerechtigkeitscheck nicht leisten. Aber das ist auch gar nicht unsere Absicht, schließlich habt ihr bei vielen Fragen sicherlich eure eigenen Präferenzen – und wählen sollt ihr schließlich selbst!
Die Wahl-O-Mat®-Thesen, die wir in Hinblick auf Zukunftsgerechtigkeit für besonders wichtig halten
Bei Bundestagswahlen sollen auch Jugendliche ab 16 Jahre wählen dürfen
– das finden wir gut, schließlich sind Jugendliche von den heutigen politischen Entscheidungen betroffen und sollten daher mitbestimmen dürfen – siehe oben. Auch in manchen Bundesländern wird längst ab 16 gewählt, ohne dass die Welt untergegangen ist. Noch besser fänden wir allerdings ein Wahlrecht durch Eintragung: Wenn ein junger Mensch in der Lage ist, selbstständig zum Wahlamt zu gehen und sich in das Wahlberechtigtenregister eintragen zu lassen, können wir davon ausgehen, dass diese Person nicht nur motiviert, sondern auch kompetent genug ist, um am Wahltag eigenständig ihr Kreuz zu machen.
Die Förderung von Windenergie soll beendet werden
– das fänden wir schlecht. Saubere Energie ist ein Kernbereich von Zukunftsgerechtigkeit und Windenergie spielt hierfür in Deutschland eine große Rolle. Schön wäre es zudem, wenn (auch indirekte) Subventionen fossiler Energie schnell abgeschafft werden würden.
Der für das Jahr 2038 geplante Ausstieg aus der Kohleverstromung soll vorgezogen werden
– dem schließen wir uns an. Kohleverstromung steht unseren Klimazielen entgegen – wir müssen schnellstens den Anteil der erneuerbaren Energien massiv ausbauen (siehe oben).
Alle Erwerbstätigen sollen in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sein müssen
– Ja. Das wäre zumindest ein erster Schritt. Dank des demographischen Wandels steht unser Rentensystem auf tönernen Füßen, schon heute funktioniert es nur dank massiver Steuerzuschüsse. Das Rentensystem muss daher nicht nur kurzfristig stabilisiert, sondern auch nachhaltig zukunftsgerecht gemacht werden – keine einfache Aufgabe.
Die Zulassung von neuen Autos mit Verbrennungsmotor soll auch langfristig möglich sein
– dem stimmen wir nicht zu. Der Verkehrssektor ist immer noch ein großer Problembereich, wenn es um die Bekämpfung der Klimakrise geht, unter der junge Menschen und zukünftige Generationen besonders zu leiden haben werden. Um den treibhausgas-getriebenen globalen Temperaturanstieg nachhaltig zu bremsen, drängt die Zeit. Aus unserer Sicht macht es daher keinen Sinn, langfristig weiter Verbrennungsmotoren zu bauen in der sehr unsicheren Hoffnung, dass wir irgendwann synthetische Kraftstoffe mit hohem Wirkungsgrad entwickeln und in großen Mengen klimaneutral produzieren können. So viel Zeit haben wir nicht.
Der Bund soll Projekte zur Bekämpfung des Antisemitismus stärker finanziell unterstützen
– dem stimmen wir zu. Liest man sozialwissenschaftliche Studien zum Thema Antisemitismus und Rassismus, sieht man, dass derlei Ressentiments in weiten Teilen unserer Gesellschaft immer noch zu finden sind – und sie sterben nicht aus. Die Zahl der konkreten antisemitischen Straftaten nimmt zu. Wir wollen, dass sowohl heute als auch in naher und ferner Zukunft wirklich alle sicher und selbstbestimmt in einer offenen demokratischen Gesellschaft leben können. Dafür müssen wir schon heute mehr tun.
Deutschland soll aus der Europäischen Union austreten
– wir finden, das wäre ein großer Fehler. Die EU als das große Friedensprojekt Europas wollen wir an zukünftige Generationen weitergeben. Auch ist schon lange klar, dass wir als einzelner Staat in einer globalisierten Welt allein immer weniger ausrichten können. Zur Bewältigung der großen Zukunftsherausforderung brauchen wir einander, brauchen wir die Europäische Union.
Ökologische Landwirtschaft soll stärker gefördert werden als konventionelle Landwirtschaft
– Auf jeden Fall. Die Förderung mit der Gießkanne, die vor allem Massenbetriebe belohnt, sollte zugunsten einer gezielten Förderung von ökologischer Landwirtschaft reformiert werden. Wir brauchen eine regionale Landwirtschaft, die nicht nur Versorgungssicherheit schafft, sondern sich auch um Bodenqualität, Schadstoffeintragsreduzierung, Biodiversität und Klimaziele kümmert. In die konventionelle Landwirtschaft gehen immer noch viel zu viele (EU-)Gelder, die wir viel dringender für Zukunftsinvestitionen benötigen, etwa für Bildung, Dekarbonisierung und Klimaanpassung.
Der staatlich festgelegte Preis für den Ausstoß von CO2 beim Heizen und Autofahren soll stärker steigen als geplant
– Ja, denn die Preise sollten die tatsächlichen Kosten spiegeln, die durch CO2-Emissionen de facto entstehen. Klar ist aber auch, dass das nicht ohne sozialstaatliche Abfederung gehen wird.
Die Schuldenbremse im Grundgesetz soll beibehalten werden
– jetzt wird es etwas kompliziert. Grundsätzlich sind wir dafür, da wir schon lange Schulden auf Kosten zukünftiger Generationen machen. Die Ausgaben für die Bundesschuld betragen allein im Bundeshaushalt 2021 ca. 15 Mrd. €, und das auch nur dank günstiger Zinslage. Das Geld fehlt an anderer Stelle und der hohe Schuldenstand wird damit auch nicht abgebaut. Diese Ausgaben werden massiv steigen, sollte die Zinsentwicklung mal wieder nach oben gehen. Wir brauchen also mehr Ausgabendisziplin. Andererseits sollte es aus unserer Sicht Ausnahmen von der Schuldenbremse geben, wenn wichtige Zukunftsinvestitionen anstehen, die heute zwar Geld kosten, aber morgen zugunsten heute junger und zukünftiger Generationen wirken. Ein Beispiel sind frühzeitige Klimamaßnahmen, die uns auf lange Sicht viel billiger kommen als die finanziellen Folgen eines ungebremsten Klimawandels. Hätten wir schon früher umgesteuert, hätten wir jetzt schon einen positiven Effekt. Wir stimmen daher für ein differenziertes „neutral“.
Der Flugverkehr soll höher besteuert werden
– Ja, und das nicht nur in Deutschland. Denn auch der Kerosin-Preis sollte die tatsächlichen Kosten widerspiegeln, also Umweltauswirkungen einbeziehen. Der Flugverkehr ist einer der Treiber der Klimakrise. Mit dem Ausbau des Bahnnetzes könnte man zudem dafür sorgen, dass die Menschen zumindest über kürzere Distanzen klimaneutral von A nach B kommen.
Die Auswertung
Die folgende Tabelle zeigt die Übereinstimmung (1) bzw. fehlende Übereinstimmung (0) mit den von uns gewählten Antworten laut Wahl-O-Mat®. Grün markiert sind die Parteien, die bereits im Bundestag vertreten sind und die höchstwahrscheinlich auch bei der kommenden Bundestagswahl den Sprung über die 5%-Hürde schaffen werden. Außerdem haben wir sechs Kleinstparteien ausgewählt, deren Übereinstimmungsgrad wir ebenfalls anzeigen. Die Reihenfolge orientiert sich – analog zum Wahl-O-Mat – an den bisherigen Wahlergebnissen.
Wir sehen, dass die Thesen bzw. unsere Antworten dazu unterschiedlich stark umstritten sind. Während die Bekämpfung von Antisemitismus und der Verbleib in der EU erfreulicher Weise (fast) Konsens sind, sind die Zustimmungsraten der ausgewählten Parteien zu einer neutralen Position zur Schuldenbremse (17%) und zur Erhöhung des CO2-Preises (50%) vergleichsweise gering. Insgesamt liegt die Zustimmung zu unseren Antworten bei durchschnittlich 69% – das finden wir überraschend hoch.
In der folgenden Grafik haben wir die Parteien nach dem Übereinstimmungsgrad sortiert.
Hier ist auffällig, dass einige Parteien sehr hohe Übereinstimmungsgrade erreichen. Keine Partei hat gar keine Zukunftsgerechtigkeit im Programm, aber manche von ihnen viel Zukunftsungerechtigkeit. Die Unterschiede zwischen den Parteien sind also recht groß. Zu bedenken ist dabei, dass die Werte stark von der Auswahl der Thesen abhängig sind und elf Thesen-Antworten natürlich nicht repräsentativ für eine Partei stehen können. Die genauen Antworten der Parteien auf die Thesen könnt ihr direkt beim Wahl-O-Mat nachlesen. Das lohnt sich!
Autor: Michael Rose
Hinweis: Auch wenn wir hier aus stilistischen Gründen in der „wir-Form“ schreiben – verantwortlich für den Inhalt des Blogbeitrags ist der Autor.